DGB zum Koalitionsvertrag: Besser als befürchtet, schlechter als erhofft
17.11.2005
Zum Koalitionsvertrag sagte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer am Mittwoch in Berlin:
"Deutschland muss sozial gestaltet werden. Das war die Botschaft der Gewerkschaften an die Parteien vor der Bundestagswahl. Das war die Botschaft der Wählerinnen und Wähler an die Parteien am Wahltag. In Anbetracht der schwierigen Ausgangslage ist das besser gelungen als befürchtet, aber schlechter als erhofft.
Gemessen an der Ausgangslage vor der Bundestagswahl ist Schlimmeres verhütet worden: Tarifautonomie und Mitbestimmung sind gesichert, die Steuerfreiheit der Sonn-, Nacht- und Feiertagszuschläge wird nicht abgeschafft. Viele der geplanten Maßnahmen der Großen Koalition gehen in die richtige Richtung, springen aber zu kurz. So ist auf der Habenseite das Konjunkturprogramm, das wir schon lange gefordert haben. Allerdings fällt es zu knapp aus, um der Wirtschaft wirklich einen entscheidenden Schub zu geben.
Positiv ist die Ausweitung des Entsendegesetzes auf die Gebäudereinigungsbranche. Weitere Branchen müssen aber folgen. Erfreulich ist auch die Aussicht, dass im Zusammenhang mit der Ausbildungsplatzkrise branchenbezogene Umlageverfahren in Aussicht gestellt werden. Das fordern wir schon lange und werden darauf drängen, dass das auch wirklich geschieht.
In die richtige Richtung geht auch die Einführung einer höheren steuerlichen Belastung für Spitzenverdiener. Allerdings kann sie nicht die Lücke schließen, die durch den Verzicht auf eine zeitgemäße Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer und Börsenumsatzsteuer entsteht. Wir haben nicht zu wenig Geld in unserem Land. Es wird nur falsch verteilt.
Es bleibt leider dabei, dass es eine verteilungspolitische Schlagseite zu Ungunsten der breiten Bevölkerung gibt. Dabei spielt insbesondere die drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer eine Rolle, die wir ablehnen. Millionen von Studenten, Beamten, Rentnern und Arbeitslosen wird erhebliche Kaufkraft entzogen, da sie nicht von der Senkung des Arbeitslosenbeitrags profitieren. Das ist eine schwere Hypothek für die Binnenkonjunktur.
Nicht akzeptabel ist auch, dass Hartz IV praktisch unverändert geblieben ist. Die begrüßenswerte Anhebung des ALG II von Ost- auf West-Niveau reicht nicht aus. Millionen von Menschen, die heute noch eine Arbeit haben, müssen fürchten, durch Hartz IV in die Armut durchgereicht zu werden. Mit dieser Destabilisierung der Gesellschaft dürfen wir uns niemals abfinden.
Völlig falsch ist die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre. Das ist eine verkappte Rentenkürzung für zukünftige Rentner. In den meisten Firmen arbeitet niemand mehr, der älter ist als 60, auf dem Bau sogar niemanden über 50.
Die Neuregelung des Kündigungsschutzes ist reine Symbolpolitik zu Willen der Wirtschaft. Dadurch wird der Kündigungsschutz praktisch ausgehebelt, ohne dass auch nur ein neuer Arbeitsplatz entsteht.
Unter dem Strich bleibt: Es ist gelungen, wichtige Anliegen der Gewerkschaften umzusetzen. Allerdings hätten wir uns eine gerechtere Verteilung der Lasten und deutlichere Impulse für die Konjunktur gewünscht."