Tendenz zur Leiharbeit bedenklich
03.01.2006
Leiharbeit wird immer mehr ein Thema - auch in Erlangen, wo zur Zeit mehr als 1000 LeiharbeitnehmerInnen in Siemens-Betrieben arbeiten. Die Tendenz ist steigend, auch bei den Beschäftigten mit Werkverträgen.
Leiharbeit wird zunehmend ein Thema für die Betriebsratsarbeit; denn immer mehr Menschen im Betrieb sind Leasingkräfte. Tendenz: steigend. Bei PG Erlangen zum Beispiel gibt es zur Zeit ca. 200 Leiharbeitskräfte. Überwiegend sind das Ingenieure und die Zahl hat sich innerhalb des Jahres 2005 verdreifacht und könnte noch leicht zunehmen. Grund ist der hohe Auftragseingang. Doch auch in solchen Spitzenzeiten möchte sich Siemens nicht festlegen und versucht deshalb einen Teil der Arbeit mit Fremdpersonal zu bewältigen. Das bewegt sich in einigen Geschäftszweigen in einer Größenordnung von 10% bis 20% der Gesamtzahl der Beschäftigten und immerhin stehen bei PG den zahlreichen neu hinzugekommenen Leiharbeitern auch an die 150 offene Stellen gegenüber. Diese würden auch teilweise mit Leiharbeitnehmern besetzt, doch ein grundsätzliches Problem, das mit der Leiharbeit verbunden sei, bleibe dennoch bestehen: Die festen MitarbeiterInnen müssen die Leiharbeitnehmer einarbeiten - und durch die größere Fluktuation entstehe ein vermehrter Aufwand. Denn schließlich schauen sich diese Kräfte auch nach festen Stellen um - auch innerhalb von Siemens, aber nicht unbedingt nur in der Abteilung, in der sie gerade beschäftigt sind. Bei PG jedenfalls sind die verliehenen Arbeitskräfte durch ihre jahrelange Tätigkeit bei Siemens oft bestens integriert, sie können zum Beispiel auch bei den Betriebsratswahlen mitwählen wie andere MitarbeiterInnen auch.
Eine Art „verlängerte Probezeit“
Die Thematik „Leiharbeit“ ist nicht neu, aber die Betriebsräte beginnen erst langsam, sich intensiv damit auseinander zu setzen. Im Stammhaus Erlangen G hat man deshalb angefangen, die Arbeitnehmer nach AÜG systematisch zu erfassen. Christine Bauer vom Betriebsrat Erlangen G ist sich sicher, dass das Thema an Bedeutung noch zunehmen wird: „Wir beobachten das Thema Leiharbeit schon länger und können feststellen, dass die Zahl der LeiharbeitnehmerInnen kontinuierlich zunimmt. Eigentlich müssten wir uns dringend noch mehr damit beschäftigen“, aber im Tagesgeschäft bleibt dafür oft kein Platz mehr.
Siemens will mit den Leasingkräften nicht nur Kosten sparen. Es entsteht auch der Eindruck, dass damit schon die Verlängerung der Probezeit seit längerem praktiziert wird. Christine Bauer, Sprecherin des Personalausschusses des Betriebsrats im Stammhaus Erlangen, bestätigt dies: „Wir beobachten, dass nach einer bestimmten Zeitspanne die Leiharbeitskräfte nicht selten von Siemens eingestellt werden. Offenbar sieht man die Leiharbeit als eine Art verlängerte Probezeit.“ Ein zweischneidiges Schwert auch für die Betriebsräte, denn deren Ziel ist es, dass erfahrende Leiharbeiter, die sich bewährt haben, übernommen werden.
Geleast wird querbeet
Das Phänomen Leiharbeit geht querbeet durch alle Bereiche und Berufe, am meisten sind mit der Leiharbeit TS, I&S sowie PTD konfrontiert. Geleast werden Kaufleute und Techniker, Ingenieure und Bürokräfte. Nachdem bei TS Personalabbau ansteht, wird hier wohl in Zukunft die Zahl der LeiharbeitnehmerInnen zurückgefahren werden - auch um Kündigungen regulärer Mitarbeiter vermeiden zu können.
Generell geht der Trend zu „prekären Beschäftigungsverhältnissen“, meint Helmut Saffer, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des Standorts Erlangen F80 und subsumiert darunter neben der Leiharbeit auch andere Grenzbereiche wie Werkverträge, von denen es am Standort 200 bis 300 geben dürfte. Die genauen Zahlen gibt die Geschäftsleitung ungern preis. Schließlich vermeidet man gerade bei hochqualifizierten Kräften wie Entwicklern oder Computerspezialisten so die Mitsprache des Betriebsrat, wenn die Einstellung über Werkverträge läuft anstatt sie als Leiharbeit zu deklarieren. Somit handelt es sich in gewisser Weise um eine Grauzone. Die Grenze zwischen Leiharbeit und Werksvertrag ist fließend. Eindeutig ist der Trend, selbst regulär eingestellte MitarbeiterInnen mit guter Qualifikation - wie etwa junge IngenieurInnen - zunächst nur befristet zu beschäftigen. Diese MitarbeiterInnen stehen zwar gegenüber den LeiharbeitnehmerInnen relativ gut da, aber dennoch arbeiten auch sie oft „projektbezogen“ für ein Jahr und werden dann ein weiteres Jahr nur befristet eingestellt.
F80 hält Zahlen niedrig
„Die Tendenz ist jedenfalls bedenklich“, so auch Helmut Saffer. Zwar ist es dem Betriebsrat am Standort gelungen, konsequent darauf zu achten, dass sich die Praxis zur Arbeitnehmerüberlassung nicht verselbständigt und allzu sehr etabliert, allerdings gibt es selbst bei F80 „im Angestelltenbereich schon Tendenzen, die zeigen, dass man auf die Bremse drücken muss“. Vor allem in der Entwicklung werden zunehmend Konstrukteure, Ingenieure oder Software-Entwickler im Status von Leiharbeitnehmern eingestellt. Dies geschieht in kleinerem Umfang auch im Sekretariatsbereich bei den Teamassistentinnen. Bisher gibt es am Standort mit rund 2000 Beschäftigten ca. 50 MitarbeiterInnen nach AÜG (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) im Angestelltenbereich und nicht mehr als 10 Leiharbeitnehmer unter den 1000 gewerblichen KollegInnen. Bisher ist es geglückt, diese Zahlen niedrig zu halten, doch die Tendenz zeigt selbst am „Musterstandort“ F80 eindeutig nach oben.
Immer mehr Anträge auf Leiharbeit
Ausweitungen gebe es in allen Betrieben und es geht quer durch alle Berufsgruppen, meint Wolfgang Niclas von der IG Metall Verwaltungsstelle in Erlangen. Als IG Metall will man vor allem gegen die Leiharbeitsverhältnisse vorgehen, in denen die Kooperationspartner, sprich die Leiharbeitsfirmen, DGB-Tarifverträge unterlaufen wollen. Die einzelnen Kooperationsverträge, die Siemens mit Leiharbeitsfirmen hat, sind unterschiedlich, doch ein Grundtatbestand - die niedrige Entlohnung - steht fast immer im Vordergrund, wenn es um die Problematik Leiharbeit geht. Daneben gibt es aber auch ganz klar ein Kommunikationsmanko.
Veranstaltungen für Leiharbeitnehmer bei MED
Bei Erlangen Med etwa arbeiten aktuell an die 470 Leiharbeitskräfte vor Ort - aus verschiedensten Berufsgruppen, vom Maschinenbauingenieur bis zur Löterin. „470 - das ist schon eine Menge“, meint Klaus Zametzer vom Betriebsrat bei Siemens Med „und die kommen auch zu uns und stellen Fragen“. Deshalb hat man im Sommer mehrere Infoveranstaltungen für die Leiharbeitnehmer organisiert. Die Resonanz war gigantisch. Man musste sogar eine zusätzliche Versammlung für die KollegInnen der Nachtschicht organisieren, weil das Interesse an den Infos zu Tarifsituation und Arbeitnehmerrechten so groß war. Auch wenn die Betriebsräte von Siemens nur beratend tätig werden können - für die Beschäftigten der Leiharbeitsfirmen sind solche Veranstaltungen besonders wichtig. Meist haben sie keinen eigenen Betriebsrat, an den sie sich wenden können. Und neben Arbeitnehmerrechten und Stundenlöhnen wollen sie auch über die im Betrieb gängigen Regelungen zu Zeitsalden, Urlaubsanspruch, Löhnen und Prämien Bescheid wissen. Viele der MitarbeiterInnen auf Zeit sind im Zuge dieser Veranstaltungen der Gewerkschaft beigetreten - um in einer starken Solidargemeinschaft ihre Arbeitnehmerrechte besser wahrnehmen zu können. Auch wenn sich die Betriebsräte ohnehin bemühen, dass Leiharbeitsfirmen, die nicht dem DGB-Tarifvertrag für Zeitarbeit folgen und mit Dumpinglöhnen arbeiten, gar nicht erst in der Firma Fuß fassen: Es gibt je nach Zeitarbeitsfirma ziemliche Unterschiede bei der Bezahlung. Das wird auch bei solchen Veranstaltungen sichtbar.
(Quelle: IG Metall)